Prof. Dr. Andrea Büttner – Sprecherin der Allianz und Leitung des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV
Prof. Dr. Stefan Schillberg - Stellvertretender Sprecher des Leitmarkts Ernährungswirtschaft und Leitung des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME
Prof. Dr. Jens-Peter Majschak - Stellvertretender Sprecher des Leitmarkts Ernährungswirtschaft und Leitung des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV Dresden
Prof. Dr. Jörg Dörr – Stellvertretender Sprecher des Leitmarkts Ernährungswirtschaft und Mitglied der erweiterten Institutsleitung Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE
Die Ernährungswirtschaft steht gerade vor gewaltigen Herausforderungen. Welche sind das?
A. Büttner:
Die Versorgungssicherheit, wie wir sie aus den letzten Jahrzehnten bei uns in Europa, in Deutschland kennen und durchaus gern als selbstverständlich sehen, steht zunehmend vor großen Herausforderungen. Die Ursachen sind – wie die damit einhergehenden Herausforderungen für die Ernährungswirtschaft – mannigfaltig. Klimawandel und damit verbundene Wetterextreme sowie Veränderungen lokaler (Mikro)Klimata, aber auch neue und sich verstärkende Konflikte und damit verbundene soziopolitische Herausforderungen wie Migration oder Fachkräftemangel sind Treiber einer zunehmend drängend erforderlichen Transformation. Die drohende Rohstoffverknappung, abreißende Lieferketten, Preisdruck ebenso wie Kostenexplosion sind nur einige Herausforderungen, die sich am Ende auf die Resilienz der gesamten Wertschöpfungskette in der Ernährungswirtschaft auswirken.
Welche Bedeutung hat hier die Allianz Ernährungswirtschaft?
S. Schillberg:
Unsere 14 Mitgliedsinstitute bündeln Kompetenzen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft und bieten Lösungen für Industriekunden. Von digitalen Entwicklungen für die Landwirtschaft über neue Methoden in der Rohstoffanalytik bis hin zu Innovationen in der Lebensmittelherstellung.
Welchen Mehrwert bietet die Allianz für einen Hersteller/Zulieferer der Ernährungsbranche?
J.-P. Majschak:
Die Allianz Ernährungswirtschaft als Teil der Fraunhofer-Gesellschaft bietet neben den Kompetenzen der Mitgliedsinstitute ein umfangreiches Netzwerk zu weiteren, rund 70 Fraunhofer-Instituten. Damit lassen sich in die Lösung komplexer Herausforderungen der Branche Kompetenzen aus nahezu allen Technologiebereichen einbeziehen..
Welche Themen werden unter Berücksichtigung der aktuellen Herausforderungen eine besondere Rolle spielen?
Jörg Dörr:
Die Herausforderungen für Wertschöpfungsketten im Bereich der Resilienz einerseits aber auch die Erfüllung der Nachweispflichten andererseits stellen zunehmend Herausforderungen an die beteiligten Unternehmen. Digitale Hilfsmittel wie Datenräume zum nahtlosen und effizienten Datenaustausch, Digitale Zwillinge der Produkte aber sogar der (landwirtschaftlichen) Betriebe werden in Zukunft Schlüsseltechnologien sein. Die Allianz erforscht hier gemeinsam in Pionierprojekten notwendige Konzepte und Technologien.
Wie kann die Wertschöpfungskette resilienter werden?
A. Büttner:
Das System der Ernährungswirtschaft ist sehr komplex, mit komplexen Strukturen und Abhängigkeiten. Um die Resilienz zu steigern, müssen wir vor allem eins: uns überlegen worauf wir uns gegebenenfalls einstellen müssen, welche Situationen, welche Szenarien. Von diesen ausgehend müssen wir uns überlegen, welche Lösungen jeweils benötigt werden, wer diese heute, morgen und in weiterer Zukunft beisteuern kann, wie ein gewisser Grad an Abgestimmtheit erreicht werden kann. Nur gemeinsam können die einzelnen Bausteine und Prozessschritte für jeden Anwendungsfall individuell betrachtet und analysiert werden und dennoch im Ganzen gedacht. Und nur so kann die Resilienz langfristig gesteigert werden. Denn faktisch geht es um die Sicherung der resilienten und souveränen Versorgung – auf Ebene des Individuums, von Gemeinschaften, Regionen, überregionalen Strukturen – wie auch immer diese sich zukünftig geopolitisch darstellen.
Welche Entwicklungen im Bereich Ernährung haben aktuell das größte Potenzial?
S. Schillberg:
Potenziale finden sich in der gesamten Wertschöpfungskette. Sie sind aber am größten dort, wo die politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Anforderungen Innovationen erfordern, um auch zukünftig nachhaltig hochqualitative und preiswerte Lebensmittel sicher bereitzustellen. Beispiele sind hier biobasierte Pestizide, um den Vorgaben des Green Deals der EU zu entsprechen, neue Anbaukonzepte, um klima- und ressourcenschonend zu wirtschaften.
Mit dem Fokus auf Land- und Ernährungswirtschaft berührt die Allianz fast alle Sustainable Development Goals der UN. Welche sind das?
J.-P-. Majschak:
Mit unserer Forschung und Entwicklung leisten wir einen Beitrag zu einer Reihe der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Mit unserem Fokus auf Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit und nachhaltige Landwirtschaft werden beispielsweise die SDGs »Kein Hunger«, »Gesundheit und Wohlergehen«, »Nachhaltiger Konsum und Produktion«, »Keine Armut« sowie »Maßnahmen zum Klimaschutz« und »Leben unter Wasser« sowie »Leben an Land« adressiert.
Welchen Beitrag kann KI zum Thema Ernährungssicherheit leisten?
J. Dörr:
KI leistet bereits jetzt einen wesentlichen Beitrag in der Wertschöpfungskette. Dies umfasst einerseits die Unterstützung der Handelnden, z.B. in Form von Entscheidungsunterstützung (wann sollen welche Pflanzenschutzmittel zur Produktion der Rohstoffe eingesetzt werden?). Andererseits beim Erhöhen des Automatisierungsgrads. Dies ist besonders wichtig bei dem aktuellen Mangel an Fachkräften und wirkt direkt auf die Resilienz unserer Nahrungsmittelproduktion (wie wir in Zeiten von Corona erlebt haben). Es ist zu erwarten, dass der Beitrag der KI in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen wird.